Steuerhinweis für Rentner Nr. 89                                                 20.6.2017

Steuerpolitik der vergangenen 20 Jahre als Ausgangspunkt für den Bundestagswahlkampf 2017

1. Vorbemerkung

Mit der Wahl von Martin Schulz zum neuen Vorsitzenden der SPD und Kanzlerkandidaten der SPD wurde von Seiten seiner Partei der Bundestagswahlkampf eingeleitet. Damit begann, ohne dass konkrete Wahlkampfthemen beschlossen waren, die Diskussion in den Talkshows und Medien über die Vorstellungen der Vertreter der Bundestagsparteien zu diversen Themen und auch einer künftigen Steuerpolitik. Allgemeine Floskeln wie Beseitigung der ungerechten Besteuerung der Kapitaleinkünfte durch die niedrige Abgeltungssteuer gegenüber der hohen Besteuerung von hart erarbeiteten Einkünften sollten dabei die Gerechtigkeitsbestrebungen untermauern. Dabei wurde ignoriert, dass Kapitaleinkünfte seit der Körperschaftsteuerreform der Doppelbesteuerung bei der Kapitalgesellschaft und der Einkommensbesteuerung beim Anteilseigner unterliegen und die Steuereinnahmen des Staates für diese Einkünfte höher sind als bei anderen Einkunftsarten.

2. Entwicklung der Steuersätze seit 1998



Wie dieser "Datensammlung zur Steuerpolitik" des Bundesfinanzministeriums zu entnehmen ist, hat sich seit der Regierungsübernahme 1998 durch die Rot / Grüne Koalition unter Schröder eine entscheidende Wende in der Steuerpolitik vollzogen. Während bis 1998 ein Körperschaftsteuersatz von 45% und ein Einkommensteuerspitzensteuersatz von 53% im europäischen Vergleich eine Spitzenbelastung bedeutete, dem der niedrige Umsatzsteuersatz von 16% gegenüber stand, was zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Vergleich führte (siehe Reimporte in der Automobilindustrie). Eine Angleichung der MWSt innerhalb der EU erforderte eine Erhöhung der deutschen MWSt bei gleichzeitiger Absenkung der Ertragsteuern.

Diese Notwendigkeit wurde unter dem Finanzminister Eichel bis 2005 durch schrittweise Senkung der Körperschaftsteuer auf 25% und des Einkommensteuerspitzensatzes auf 42% bei einem Eingangssteuersatz von 15% umgesetzt. In 2001 wurde zudem die Besteuerung der Kapitaleinkünfte vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren umgestellt. Das bedeutete, dass auf die Einkünfte bei der Kapitalgesellschaft 25% Körperschaftsteuer erhoben wurden, die beim Anteilseigner nicht mehr anrechenbar waren, dafür aber die Bardividende beim Anteilseiner nur zur Hälfte der Einkommensteuer zu unterwerfen war.  Praktisch wirkte nur der halbe individuelle Steuersatz, bei einem Spitzensteuersatz von 45% somit 22,5%.
Mit der seit 2005 unter Merkel regierenden großen Koalition (einschließlich der Zeit mit FDP-Beteiligung von 2009 bis 2013) blieben die Eckwerte des Steuertarifs mit 42% Spitzensteuersatz und 15% Eingangssteuersatz nahezu konstant. 2007 wurde für ein zu versteuerndes Einkommen ab 256.303 € (bei Ehegatten) die Reichensteuer von 45% eingeführt und ab 2007 die Mehrwertsteuer auf 19% erhöht. Der Grundfreibetrag wurde bereits seit 1998 regelmäßig nach oben angepasst.

3. Abgeltungssteuer
2008 wurde noch unter Steinbrück für Kapitaleinkünfte die Abgeltungssteuer von 25% eingeführt und damit die Einkommensteuer um 2,5%-Punkte angehoben, was durch Einbeziehung aller Kapitaleinkünfte auch im Progressionsbereich Nachteile brachte. Gleichzeitig wurde der Körperschaftsteuersatz auf 15% gesenkt und die Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe aufgehoben. Die Gesamtsteuerbelastung einschließlich Gewerbesteuer bei der Kapitalgesellschaft und der Ergänzungsabgabe von 5,5% auf Körperschaft- und Einkommensteuer minderte sich von rd. 52% auf knapp 48%, war also höher als die Belastung mit dem Spitzensteuersatz von 45% plus Solidaritätszuschlag (= 47,47%). Bei Einzelgewerbetreibenden wurde durch Erhöhung der Gewerbesteueranrechnung auf die Einkommensteuer ebenfalls eine Gleichbehandlung erreicht. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Kapitaleinkünfte gegenüber anderen Einkünften zu gering besteuert werden. 

4. Gibt es eine Ungerechtigkeit in der Besteuerung?
Wie oben erläutert gibt es keine Ungerechtigkeit in der Spitzen-Besteuerung der verschiedenen Einkunftsarten. Durch ständige Steigerung des Grundfreibetrages auf z.Z. 8.820 € und der Senkung des Mindeststeuersatzes auf 14% in 2009 ist dem Niedrigeinkommen Rechnung getragen worden. Dennoch ist die Beseitigung der kalten Progression und die Streckung der Progressionszone auf über 53.666 € ein Steuerthema, was unter der Überschrift Steuerentlastung von den Parteien aufgegriffen werden muss. Eine Steuerentlastung im unteren Bereich lässt sich nur durch weitere Erhöhung des Grundfreibetrages und durch Steuersubventionen erreichen. Selbst eine Abschaffung des Stabilitätszuschlages würde die Eingangsbelastung kaum mindern und erst im mittleren Einkommensbereich eine nenenswerte Steuerreduzierung bewirken. Für höhere Einkünfte der Besserverdienenden könnte man den Entfall des Solis durch Erhöhung des Spitzensteuersatzes um 2,5% kompensieren, so dass keine höhere Gesamtbelastung eintritt. Auch wäre dann eine entsprechende Erhöhung der Abgeltungssteuer konsequent. Eine Erhöhung der Reichensteuer und Senkung der Einkommensgrenze, bei der diese Steuer einsetzt, wäre ohne Kompensation eine allgemeine Steuerererhöhung, die zwar das Steueraufkommen erhöhen, aber nicht zur Reduzierung der Differenz zwischen Arm und Reich beitragen würde.

5. Fazit
Um eine Steuergerechtigkeit herzustellen, brauchen wir keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Für die Verbesserung der Einkommen im unteren Bereich des Einkommensteuertarifs gibt es nur die Möglichkeit, durch stärkere Anhebung des Grundfreibetrages den nicht besteuerten Bereich wesentlich anzuheben. Dieses würde aber auch Auswirkungen auf andere Einkommensgruppen haben. Geringverdienern kann daher nur durch Wegfall von Gebühren (z.B. für Kitas und Hoch- und Fachschulen) eine Verbesserung geschaffen werden. Ein genereller Entfall würde jedoch auch die Einkommensschichten treffen, bei denen es finanziell nicht erforderlich wäre. 
Überlegungen, den Solidaritätszuschlag voll oder in Stufen abzuschaffen, könnte neben der Steuervereinfachung bei Besserverdienenden durch Anpassung des Einkommensteuerspitzentarifs ein Ausgleich geschaffen werden.

6. Welche Pläne haben die Parteien?
Die CDU / CSU will grundsätzlich auf Steuererhöhungen verzichten und hat im Hinblick auf steigende Steueraufkommen eine moderate Steuersenkung im unteren und mittleren Einkommensbereich in Höhe von ca. 15 Milliarden Euro in Aussicht gestellt.
Die FDP will ebenfalls statt einer Steuererhöhung den Bürgern einen größeren Teil (30 bis 40 Milliarden Euro) durch Glättung des Tarifbereichs und Senkung der Steuersätze an die Steuerbürger zurück geben.

Die
SPD strebt dagegen eine Steuersenkung im mittleren Einkommensbereich durch Streckung des Progressionsbereiches auf 60.000 € an und will die Entlastung der unteren Einkommen durch Gebührenfreiheit im KITA- und Ausbildungsbereich erreichen. Finanziert werden soll dieses durch Anhebung des Spitzensteuersatzes 42 % auf 45% für Einkommen ab 76.200 € und eine Reichensteuer von 48% ab einem fixen Schwellenwert ab 250.000 €. Im unteren und mittleren Bereich soll der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden.

Die Abgeltungssteuer soll abgeschafft werden, so dass die von Kapitalgesellschaften ausgeschütteten Dividenden dann ohne Berücksichtigung der bei der Kapitalgesellschaft bereits entstandenen Steuerbelastung beim Anteilseigner voll seiner progressiven Besteuerung unterliegen. Dadurch erhöht sich die Gesamtsteuerbelastung der Kapitalerträge von z.Zt. knapp 48% auf ca. 63% (Steuersatz 45%) und bei dem Steuersatz von 48% sogar auf 65%. Damit würde die Belastung der Kapitaleinkünfte ca. 15% über der Belastung von Einzelgewerbetreibenden und sonstigen Einkommensbeziehern liegen. Niedersachsen schlägt sogar die Abschaffung des Solidaritätszuschlags vor. 

Bündnis 90 / Die Grünen wollen den Spitzensteuersatz ab einem zu versteuernden Einkommen von 80.000 € auf 49% anheben, den Grundfreibetrag ausdehnen und eine Vermögensabgabe für Vermögen über 1 Mio. €  einführen.
Die Linke strebt eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 53% für Einkommen ab 65.000 € bei deutlich angehobenen Grundfreibeträgen an sowie eine Vermögensabgabe ab einem Vermögen von 1 Mio. €.

Es wird abzuwarten sein, welche der dargelegten Maßnahmen in den einzelnen Wahlkampfprogrammen der Parteien wieder zu finden sein werden und wie diese dann im Rahmen der politischen Diskussionen publiziert und schließlich vom Wähler bei der Bundestagswahl toleriert werden.

Helmut Laser